Vortrag 17. Mai 19:00: „Im Amt geblieben, um Schlimmeres zu verhüten: der Wilhelmstraßenprozess der Jahre 1948/49“
May 17th, 2011 by g97
Am 17. Mai 2011 referiert Herr Professor Dr. Kastner (Universität Nürnberg-Erlangen) zu dem Thema
„Im Amt geblieben, um Schlimmeres zu verhüten: der Wilhelmstraßenprozess der Jahre 1948/49“.
Die Verteidigung der Angeklagten klang etwas seltsam: einerseits behaupteten sie, sich an den Gräueltaten des NS-Regimes nicht beteiligt und davon nichts gewusst zu haben; andererseits argumentierten sie damit, im Amt geblieben zu sein, um Schlimmeres zu verhüten. Die Rede ist vom Wilhelm-Straßen-Prozess, benannt nach der Berliner Wilhelm-Straße, in der die meisten Reichsministerien ihren Sitz hatten. Es war ein Mammutprozess, nicht nur wegen der Zahl der Angeklagten - einundzwanzig -, sondern auch deshalb, weil mehr als 9000 Urkunden mit rund 30.000 Blatt, meistens deutschen Ursprungs, zum Gegenstand der Beweisaufnahme gemacht wurden. Das Protokoll der Hauptverhandlung umfasst rund 27.000 Blatt. Renommiertester Angeklagter war der frühere Staatssekretär im Auswärtigen Amt (1938-1943) Ernst von Weizsäcker. Die einzige Ausfertigung des Protokolls der Wannsee-Konferenz (1942), die den Krieg überdauerte, fand sich ausgerechnet in den Akten des Auswärtigen Amts. Das Verfahren gegen Angehörige von Reichsministerien geriet zum Strafprozess wegen administrativen Unrechts. Die Bedeutung des Urteils vom April 1949 liegt in der Behandlung von Rechtsfragen, wie der Strafbarkeit des Angriffskrieges oder von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, aber auch darin, wie weit der Gehorsam und die Loyalität von Beamten gehen dürfen.
Seine besondere Brisanz gewinnt der Vortrag im Zusammenhang mit der höchst umstrittenen Publikation der von Eckart Conze und anderen Historikern 2010 herausgegebenen Studie „Das Amt und die Vergangenheit: Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik“, das nach den Worten des ehemaligen Bundesaußenministers Josef Fischer „einen Teil der offiziellen deutschen Geschichtsschreibung vom Kopf auf die Füße stellt.“
Herr Professor Dr. Klaus Kastner, geboren 1936, stand als Staatsanwalt und als Richter im Dienst der bayerischen Justiz, zuletzt als Präsident des Landgerichts Nürnberg-Fürth. Er ist Honorarprofessor an der Universität Erlangen-Nürnberg und außerdem schriftstellerisch tätig zu Themen aus Politik und Recht im 20. Jahrhundert und zu solchen aus dem Grenzbereich zwischen Literatur und Recht. Bereits 2009 referierte er vor dem Heidelberger Rechtshistorischen Gesellschaft über die Nürnberger Prozesse.